Softwareplattformen im Rechtsmarkt

Seitdem Legal Tech „das Licht der Welt erblickt hat“, werben immer mehr Anbieter entsprechender Programme mit der Produktbeschreibung, eine innovative „Plattformlösung“ darzustellen. 

Aber was heißt „Plattform“ denn nun konkret und warum ist es denn angeblich so wichtig, als Softwareanbieter eine solche zur Verfügung zu stellen?

Begriffsdefinition

„Was versteht man unter einer „Plattform“ im Zusammenhang mit der Digitalisierung?
Zunächst sollte unterschieden werden, in welchem Kontext der Begriff „Plattform“ verwendet wird. 

Plattformen im B2C-Markt

Im B2C (Business-to-Consumer) Geschäft wird mit dem Begriff „Plattform“ meist eine zentrale „Anlaufstelle“ im Internet bezeichnet, auf welcher gebündelt Services einer bestimmten Kategorie angeboten werden. 

Bekannteste Beispiele außerhalb des Rechtsmarkts sind Amazon (als die Verkaufs“plattform“) oder Vergleichsportale wie Check24.de. 

Auch bei rechtlichen (Beratungs)dienstleistungen sind bereits zahlreiche solcher „Plattformen“ entstanden, wie z.B. flightright.de für die Abwicklung von Entschädigungsleistungen bei Verspätungen im Flugverkehr oder anwalt.de und advocado.de für die Vermittlung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten über das Web. Zuletzt machte in diesem Zusammenhang das Unternehmen Lexfox auf sich aufmerksam, welches ein Investment in mittlerer Millionenhöhe erhalten hat, um damit eine Beratungsplattform für Rechtsfälle im Arbeitsrecht, Mietrecht und im allgemeinen Verbraucherrecht aufzubauen.

Plattformen im B2B-Markt

Bei Anbietern von Softwarelösungen im B2B (Business-to-Business) Segment, also mit der Zielgruppe Rechtsanwaltskanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen ist mit der Bezeichnung „Plattform“ jedoch etwas anderes gemeint. 

In diesem Bereich ist der Begriff stark technologisch geprägt und soll dabei zum Ausdruck bringen, dass bei Nutzung einer Plattformapplikation sowohl unterschiedliche Lösungen des einen Anbieters perfekt miteinander zusammenarbeiten als auch, dass diese Software dahingehend konzipiert und entwickelt wurde, mit Programmen anderer Hersteller über standardisierte Schnittstellen zu kommunizieren. 

Schwerpunkt dieses Artikels sind die Plattformen im B2B-Markt.

Relevanz von Plattformtechnologien im Rahmen der Digitalisierung von Kanzleien und Rechtsabteilungen

Ist es denn überhaupt wichtig, ob eine LegalTech-Lösung als Plattform für andere Anwendungen verwendet werden kann, oder ob ein Programm „plattformtauglich“ ist, d.h. mit Plattformangeboten von Drittanbietern zusammenarbeiten kann? 

Kurze Antwort: Absolut ja!

Begründung 😉

Vor nicht allzu langer Zeit (…keine Angst, dass wird keine Geschichte der Gebrüder Grimm) wurden fast alle Softwarelösungen für die Rechtsberatung als „monolithische Blöcke“ entwickelt, d.h. der Benutzer musste mit den Funktionalitäten leben, welche vom Hersteller des Programms umgesetzt worden waren. Fehlte etwas, so war man auf die „Gnade“ des Anbieters angewiesen, dass dieser (hoffentlich) in einer neuen Version die gewünschten Features einbaue. 

Noch viel schlimmer als die Abhängigkeit bei der Funktionsumsetzung war jedoch der Umstand, dass wegen fehlenden Standardschnittstellen es faktisch unmöglich war, unterschiedliche Programme in einer Kanzlei sinnvoll miteinander zu verbinden. Daraus folgte, dass jede Applikation ihr „eigenes Süppchen“ kochte, insbesondere ihre eigene Datenhaltung nutzte, Stichwort: „Datensilos“. 

Dies führte z.B. dazu, dass nach der Neuanlage eines Mandats im Case-Management-System einer Kanzlei, manuell zusätzlich ein weiteres Mal im Dokumentenmanagementsystem (DMS) eines anderen Anbieters die Falldaten, Bearbeiter und Zugriffsberechtigungen erfasst werden mussten, da beide Lösungen nicht oder nicht ausreichend miteinander kommunizierten.
Auch jede Änderung der Projektdaten und/ oder Beteiligten musste händisch in den beiden Systemen nachgehalten werden. 

Dieser nicht unerhebliche Mehraufwand war bislang meist gerade noch vertretbar, da die Anzahl der in den einzelnen Kanzleien oder Rechtsabteilungen im Einsatz befindlichen Programme „überschaubar“ war (meist „nur“ Aktenverwaltungsprogramme und DMS).
Da zukünftig aber nun im Rahmen der Digitalisierung immer häufiger auch bei den anwaltlichen Tätigkeiten unterschiedliche Softwaretools mit „spitzen“, d.h. sehr speziellen Nutzungsbereichen zum Einsatz kommen werden, wird der zusätzliche Aufwand für mehrfache Datenhaltungen jedoch unwirtschaftlich und damit unakzeptabel.

 

Plattformcheck

Wie bereits häufig auf einschlägigen Konferenzen und in Beiträgen im Netz zum Thema „Digitalisierung des Rechtsmarkts“ zu hören und zu lesen ist, bedarf es vor dem Einsatz von neuen Technologien bei der anwaltlichen Beratung zunächst einer sorgfältigen Analyse der internen Arbeitsprozesse, sonst wird aus einem „schlechten analogen Arbeitsprozess ein schlechter digitalisierter Arbeitsprozess„.

Bestandsaufnahme

Neben diesen eben genannten Analysen auf organisatorischer Ebene sollte meines Erachtens jedoch ebenfalls im Rahmen der vorbereitenden Massnahmen die vorhandene IT-Infrastruktur und Softwarelandschaft bezüglich „Plattformtauglichkeit“ untersucht und ggf. nach Lösungsmöglichkeiten bei hierbei entdeckten Defiziten gesucht werden.

Eine mögliche (sehr grobe) Checkliste zur Ermittlung der Tauglichkeit sollte insbesondere folgende Fragen umfassen:

  • Welches Usermanagementsystem wird in der Kanzlei/Unternehmen eingesetzt (z.B. Single-Sign-On (SSD), Active Directory, Azure AD)?
  • Welche Softwareapplikationen sind bereits vorhanden und über welche Schnittstellen verfügen diese (z.B. SOAP, REST)?
  • Welches ist die führende Applikation im Rahmen der Mandatsbearbeitung?
    Mit „führendem System“ ist die Anwendung gemeint, welche die „Datenhoheit“ bzgl. der Mehrzahl aller fallrelevanten Informationen besitzt (oder besitzen sollte)
  • Welche Authentifikations- und Autorisierungsmechanismen werden von den „führenden“ Applikationen für die Anbindung von Drittprogrammen unterstützt (z.B. User-Passwort, OAuth/OpenID)?
  • Welche Schnittstellen zum Datenaustausch sind vorhanden und in welchem Format (z.B. JSON, XML, CSV, Excel) werden die Informationen angeboten (gibt es hierfür überhaupt Dokumentationen)?
  • Welche Anpassungen sind aller Voraussicht nach bezüglich Schnittstellen und Anbindungen kurz-, mittel-  und langfristig notwendig und auf welche Ressourcen kann hierbei zugegriffen werden (Hersteller der Software, vom Hersteller autorisierte Softwareunternehmen, interne Entwicklungsabteilung, externe Berater)

Vorteile eines Plattformchecks

Mit Hilfe einer solchen Bestandsaufnahme wird der Entscheidungsprozess im Rahmen der Selektion von geeigneten LegalTech Lösungen auf der technischen Ebene erheblich vereinfacht, da bereits die Testphase einer „ins Auge gefassten Applikation“ besser geplant, vorbereitet, durchgeführt und beurteilt werden kann. 
Warum? 

Sind die Schnittstellen zwischen den Anwendungen (Kanzleisoftware und LegalTech Lösung) bekannt und vorhanden, können diese schon in der Teststellung aktiviert werden, was die Praxisrelevanz der Evaluierung erheblich erhöht (nichts ist schlimmer wie ein Test im „Paralleluniversum“, das mit der täglichen Arbeit wenig gemein hat)

Fehlt es noch an den notwendigen Verbindungen, dann wissen Anbieter und Kanzlei dies bei der Beurteilung der Teststellung in realistischem Umfang einzuordnen und können die voraussichtlichen Implementierungskosten der Softwareeinführung valider qualifizieren.

Mögliche Konsequenzen aus den Ergebnissen eines Plattformchecks

Wenn die Überprüfung der bisherigen IT- und Softwarelandschaft zu dem Ergebnis kommt, dass ein Datenaustausch mit Softwarelösungen von Legal Tech Anbietern zum jetzigen Zeitpunkt so gut wie nicht umsetzbar ist, da die eingesetzte Software „out-of-the-box“ Schnittstellen nicht vorsieht, so ist das zwar unbefriedigend aber zum Glück kein Grund, das Thema „Digitalisierung“ wieder zu Grabe zu tragen (würde auch nichts bringen, diese geht nicht mehr weg ;-))

Sollte sich der Hersteller der bislang genutzten Applikationen nicht überzeugen lassen, die Software im notwendigen Masse zur Kommunikation zu öffnen, so gibt es einige Unternehmen, die eine solche Anbindungsmöglichkeit -autorisiert vom Softwareanbieter- umsetzen können. 

Kommt man auch auf diesem Weg nicht weiter, so sollte man ernsthaft einen Wechsel / Austausch der bislang genützten Software zu Lösungen, welche die notwendigen Schnittstellen aufweisen vorantreiben. 

Die Applikationen der Zukunft basieren auf modularen Komponenten, die ohne umfangreichen Schnittstellenanbindungen nicht eingesetzt werden können.

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