Knowledge Management & LegalTech

Das Thema Knowledge Management (KM) ist schon fast seit Jahrzehnten auf der Agenda fast aller Kanzleien mit mehreren Berufsträgerinnen und Berufsträger. Aus gutem Grund.

Das wichtigste Kapital in der Rechtsberatung, ist das „Know-how einer erfolgreichen und wirtschaftlichen Mandatsbearbeitung“ sowohl bezüglich der Prozesse als auch hinsichtlich der richtigen Anwendung der fallrelevanten Rechtsgrundsätze und einschlägigen Normen.

Dieses Wissen aus “den Köpfen” der Anwältinnen und Anwälte zu “extrahieren” und der Kanzlei personenunabhängig zur Verfügung zu stellen ist ein entscheidender Faktor dafür, gleichbleibend hohe Qualität bei der Beratung langfristig sicherzustellen und die Abhängigkeit von einzelnen Berufsträgern zu reduzieren.

Bisherige Erfahrungen mit Knowledge Management

Bei Umsetzung dieser Aufgabe zeigte sich in der Vergangenheit, dass sich nur dann ein gewisser Erfolg einstellt, wenn die Organisationen bereit waren, dezidiertes Personal einzustellen und Abteilungen aufzubauen, welche sich ausschließlich mit diesem Themenbereich beschäftigen. Zudem bedarf es auch essenzieller Änderungen in den kanzleiinternen Bewertungssystemen, um vor allem Berufsträger in höheren Hierarchien (Equitypartner oder Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte kurz vor dem „Sprung in die Partnerschaft“) zur Mitarbeit zu „bewegen“. Deshalb waren in der Vergangenheit meist nur größere Einheiten in der Lage, ein „vernünftiges“ Knowledgemanagent „auf die Beine zu stellen“.

In kleineren Einheiten wurde meist versucht, mehr oder weniger parallel zur eigentlichen Mandatsarbeit einen „Wissenspool“ aufzubauen. Die Ergebnisse der letztgenannten Ansätze blieben leider jedoch meist weit hinter den Erwartungen zurück und auch bei den personal- und ressourcenintensiven Umsetzungen in Grosskanzleien war und ist man bei weitem nicht mit den Resultaten zufrieden. Warum?

Knowledge Management - Status Quo

Betrachtet man die grundsätzliche Struktur, wie bislang KM in Kanzleien (und auch Rechtsabteilungen) umgesetzt wurde, so lässt sich diese grob wie folgt graphisch darstellen.

Schaut man sich diese Übersicht genauer an, so fällt zum einen auf, dass primär vor allem Dokumentvorlagen (für Word oder PowerPoint) zur Speicherung in KM-Systeme berücksichtigt werden (im weit geringeren Umfang werden auch Checklisten oder Playbooks in den genannten Dateiformaten „eingepflegt“). Eine Speicherung der Prozesse und deren Steuerung eines Mandats in leicht reproduzierbarer Form bleibt jedoch zumeist bislang „außen vor“.

Des Weiteren ist aus diesem graphischen Überblick sichtbar, dass trotz aller bislang eingesetzten Softwarelösungen der Anteil der manuellen Arbeit und somit der notwendigen Arbeitseinsatz von Kanzleipersonal (Berufsträger und nichtjuristische Mitarbeiter) besonders in folgenden Teilbereiche ziemlich hoch ist.

Befüllung des Datenpools

Woher und wie kommen überhaupt die Inhalte in ein KMS?
Meist erfolgt die initiale Entscheidung, ob ein bestimmtes Dokument geeignet sein könnte, im Knowledge Management als Vorlage aufgenommen zu werden, durch den Autor, sprich den bearbeitenden Anwalt / die bearbeitende Anwältin. Als nächster Schritt muss dann das Dokument, welches an das Knowledge Management Team übersandt wurde, meist händisch zu einer Vorlage „veredelt werden“ (Entfernung von fallspezifischen Informationen, Überprüfung der referenzierten Rechtsprechung, Anreicherung um Bearbeitungsinformationen), was heutzutage meist mit viel manueller Tätigkeiten vor dem PC verbunden ist.

Pflege des Datenbestandes

Befinden sich Vorlagen und Checklisten erstmal in den Datenbank eines Knowledge-Managementsystems müssen diese regelmäßig auf

  • Verwendbarkeit
  • Aktualität
  • Duplikate

überprüft werden. Hier sind (ebenfalls) vor allem die Personen, die mit der Aufgabe „Knowledge-Management“ betraut wurden, am Zug.
Aber auch die Anwältinnen und Anwälte sollten im Idealfall Rückmeldungen an das KM-Team geben, da es bei der Vielzahl der Rechtsänderungen fast unmöglich ist, ohne konkreten Anlass (z.B. im Rahmen eines Falles) die notwendigen Anpassungsanforderungen bei Inhalten in KM-Systemen zu identifizieren und angemessen einzuordnen. Dieses Feedback erfolgt meist heutzutage leider per Email, was häufig zu Fehlern und Nachfragen führt.

Verwendung von Inhalten aus einem Knowledge Management System

Auch wenn vermehrt in einigen Teilbereichen der Mandatsbearbeitung Document-Assembly-Lösungen (Software zur Textgenerierung) für die Erstellung von Dokumenten aus Textblöcken mittels Abfragedialoge zum Einsatz kommen, so habe ich die Erfahrung gemacht, dass in den KM-Systemen häufig immer noch komplette Dokumente als Vorlagen gespeichert werden, die dann als grobe „Grundgerüste“ für den im Mandat benötigten Schriftsatz Anwendung finden und bis zur Finalisierung noch umfangreich händisch nach- und umgearbeitet werden müssen (z.B. Löschen nicht benötigter Textpassagen und Hinzufügen notwendiger Textblöcke)

Beurteilung Status Quo

Auf Grund des hohen Personalaufwandes bei Aufbau, Pflege und Nutzung von Inhalten aus Knowledge-Management-Lösungen ist es nicht verwunderlich, dass nur die Minderheit der von mir befragten Kanzleien und Rechtsabteilungen mit ihren derzeitigen Lösungen zufrieden sind. Mehr noch, eine große Zahl von Organisationen haben es bislang „unterlassen“, sich strategisch mit dieser Thematik so ernsthaft zu beschäftigen, dass die Implementierung einer Lösung unternehmensweit zeitnah angestrebt wird. Allenfalls „Inselapplikationen“ einer Praxisgruppen oder einzelner Anwälte werden heutzutage häufiger betrieben.

Knowledge Management, besser durch LegalTech?

Können vielleicht neue Lösungsansätze im Rahmen der Digitalisierung des Rechtsmarkts durch neu auf dem Markt vertretene „LegalTech“-Software auch das „klassische“ Knowledge Management verbessern?

Zunächst einmal gleich ein kleiner „Hoffnungsdämpfer“. Es ist keine Lösung in Entwicklung, mit welcher Knowledge Management in Kanzleien und Rechtsabteilungen mit „einem Schlag„, einfach, effektiv und vollautomatisch umsetzbar wird. Aber durch die zunehmende Modularität bei der Softwareentwicklung (siehe hierzu mein Blogbeitrag „Softwareplattformen im Rechtsmarkt„) lassen sich vor allem in den folgenden drei Bereichen signifikante Verbesserungen erzielen:

  • Reduzierung des Personalaufwandes für Aufbau, Pflege des Systems
  • Erweiterung der Art der verfügbaren Informationen um Prozesse
  • Vereinfachung der Nutzung der im KMS hinterlegten Informationen

Nachfolgende Grafik sollen die möglichen Auswirkungen von Technologien aus dem LegalTech-Umfeld für ein Knowledge-Management von morgen illustrieren:

Wie können nun konkret neuste Softwaretechnologien das Knowledge Management in Kanzleien und Rechtsabteilungen unterstützen und verbessern?

Erweiterung der verfügbaren Informationen in einem Knowledge Management System

Zum einen ermöglichen neue Applikationstypen eine Erweiterung der Informationsarten, die in einem KM gespeichert werden können. Neben Textinformationen für die Erstellung von Dokumenten, können nun auch reproduzierbare Workflowprozesse für Arbeitsabläufe (sowohl organisatorische als auch juristische Maßnahmen bei der Mandatsbearbeitung) zukünftig in ein KM abgelegt, und diese dann „mit einem Klick“ aufgerufen und organisationsweit zur Verfügung gestellt werden. (z.B. durch Anwendungen wie Bryter oder Microsoft Flow)

Beschleunigung der Informationsaufbereitung

Weiters können Applikationen aus den Bereichen Datenanalyse und -anonymisierung effektiv die im Dokumentenmanagement (DMS) einer Kanzlei liegenden „Informationsschätze“ aus der Mandatsbearbeitung aufzuspüren und für eine Verwendung in ein Knowledge Management System strukturell vorbereiten. Auch vermögen diese Lösungen fortwährend das DMS zu „überwachen“ um damit kontinuierlich neuste Informationen aus den Fällen möglichst schnell und kostensparend in ein KMS zu überführen. Es muss aber auch in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass die zuletzt beschriebenen Möglichkeiten erst am Anfang der Umsetzung stehen und, trotz der neuen Applikationen, es noch derzeit einer nicht unerheblichen Mitarbeit von kanzleiinternen Mitarbeitern oder von auf Inhaltsermittlung und -aufbereitung spezialisierte Unternehmen (wie z.B. reThinkLegal) bedarf.

Verwendung von Inhalten aus Knowledge Management Systemen

Es gibt jedoch bereits heute einen Einsatzbereich von LegalTech-Lösungen im Bereich Knowledge Management, welche selbst für kleine Einheiten eine erhebliche Verbesserung bei der Speicherung und Wiederverwendbarkeit des kanzleiinternen Wissens mit sich bringt. Die Nutzung von bereits oben erwähnter Software für die dialoggeführte Erstellung von Dokumenten unter Verwendung von Informations(text)blöcken („Document-Assembly-Solutions„). 

In diesem Segment wurden in den letzten Jahren neben die „großen“ und teuren Anbietern wie ContractExpress und HotDocs zahlreiche weitere Angebote veröffentlicht, wie z.B. Lawlift, Legito, Docengine, Woodpecker.
Mit Hilfe dieser Lösungen ist es möglich, ohne umfangreicher Anlernphase, Dokumente, die regelmäßig in unterschiedlichen Versionen in der Organisation verwendet werden, in leicht zu verwaltende Textblöcke zu unterteilen und diese dann, gemäß den Anforderungen in einem Mandat, im gewünschten Umfang zu einem Schriftsatz „zusammenzusetzen„.

Warum sollte man sich diesem Bereich widmen, insbesondere wenn Knowledge Management in der Kanzlei bisher nicht oder nur rudimentär umgesetzt worden ist?

Vorteile einer Document Assembly Solution als Startprojekt eines Knowledge Managements

  • Da ist zum einen die relativ „flache Anlernkurve„, d.h. um (testweise) eine der angebotenen Lösungen in diesem Bereich einzusetzen, sind meist nur geringe Spezialkenntnisse notwendig. Dies gilt umso mehr, je neuer die ausgewählten Applikationen sind. 
  • Des Weiteren existieren meistens in den Organisationen zumindest einige Textbausteine oder Muster, die geeignet sind, um als erste Quellen für die Programme verwendet zu werden. Mit Hilfe dieser (bekannten) Texte, lässt sich sehr schnell herausfinden, ob die Applikationen einfach zu bedienen sind und diese die Erstellung von Dokumenten im Vergleich zum bisherigen manuellen „Cut-and-Paste“-Zusammenbau vereinfachen und beschleunigen.
  • Zudem bringen die meisten der oben genannten Anwendungen auch eine datenbankbasierte Verwaltung sowohl zur Ablage der hinterlegten Textfragmente oder -blöcke als auch zur Speicherung der für die Dialogoberflächen notwendige Informationen mit, welche, falls noch überhaupt keine Knowledge-Management-System vorhanden ist, als gute erste Basis für eine strukturierte und pflegbare Wissensdatenbank für die Organisation verwendet werden kann.
  • Auch sind die finanziellen Risiken bzgl. Lizensierung derartiger Softwarelösungen überschaubar und daher auch von kleineren Einheiten zu bewältigen. Zudem gibt es kostenlose Basistechnologien (docassemble.org) im Web, die es ermöglichen, mit geringem monitärem Aufwand zu beginnen.

Tipps zur Einführung einer Document Assembly Solution

Wenn Sie nun die Implementierung einer bestimmten Document-Assembly-Lösung „ins Auge fassen“, abschließend noch einige Tipps, worauf Sie meines Erachtens bei der Auswahl einer Applikation achten sollten.

  • Datenübernahme aus Ihrem Case-Management-System
    Die Steigerung der Effektivität der kanzleiinternen Mandatsbearbeitung durch eine Document-Assembly-Solution (DAS) hängt entscheidend davon ab, ob dieses System Daten aus Ihrer Case-Management-Applikation per Schnittstelle (API) übernehmen und verwenden kann. Falls nicht, ist das m.E. meist ein NO-GO, da eine manuelle Nachbearbeitung in Form z.B. des händischen Einfügens von Kontaktinformationen zum Mandanten oder auch nur der Fallnummer in ein fertig erstelltes Dokument auf Dauer nur nervt und sinnlos Zeit kostet.
  • Anbindung der Lösung an das User-Management-System Ihrer Organisation
    Müssen Sie sich mit separatem Loginnamen und Passwort zusätzlich bei dem „Dokumentengenerator“ anmelden, so kann dies bei kleineren Einheiten gerade noch akzeptabel sein, die Unterstützung des Single-Sign-On-Usermanagements der Kanzlei durch die Document-Assembly-Solution ist jedoch bei größeren Einheiten auch aus Sicherheitsgründen Pflicht.

Zusammenfassung

Knowledge Management wird durch neue Softwareangebote in Zukunft einfacher und auch erheblich leistungsfähiger werden. Suchen Sie aber nicht nach der einen Lösung, sondern fokussieren Sie sich auf modulare Applikationen und fangen Sie am besten möglichst bald mit Teilbereichen an, da –trotz aller neuen Technologien-, Knowledge Management auch in Zukunft eine „Daueraufgabe“ für Kanzleien und Rechtsabteilungen mit einigen „Lernkurven“ bleiben wird.

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