Seit dem Release von ChatGPT 3 und vor kurzem 4 werden auf allen sozialen Kanälen unzählige Beiträge veröffentlicht, ob und wenn ja, wie diese Technologie die anwaltliche Tätigkeit verändern wird.
Die Antwort hierauf ist meines Erachtens „überraschend“ kurz und eindeutig:
Diese Art von „künstlicher Intelligenz“ ist kein „Gamechanger“, sondern sie beendet die heutige „Spielweise“ komplett (Game over für „Rechtsberatung 1.0“).
Warum? Die Tätigkeit in der anwaltlichen Beratung begründet sich bislang zu einem großen Teil in der „menschlichen juristischen Wissenshoheit“ bei der Erstellung, Bearbeitung und Beurteilung von Dokumenten und Sachverhalten.
Das juristische Studium war bislang eine zwingend notwendige Grundvoraussetzung, um durch Subsumption des Sachverhalts notwendige Textbestandteile zB. für ein gerichtlichen Schreibens oder einen Vertrag zu identifizieren, ggf unter Verwendung juristischer Datenbanken hinter Paywalls (mit häuftig „bescheidenen“ Suchfunktionalitäten) zu validieren und zuletzt das Dokument zu erstellen oder zu beurteilen.
„Künstliche Intelligenz“-Lösungen, basierend auf Large Language Modelle ermöglichen es nun durch geschicktes Wording bei den Fragestellungen auch ohne fundiertem juristischen Wissen die genannten Dokumente überraschend zutreffend zu erstellen oder zu analysieren .
Kann man sich sicher sein, dass die Ergebnisse von ChatGPT 4 rechtlich korrekt sind? Sicherlich nicht. Eine Überprüfung der Ergebnisse durch durch „menschliche Profis“ ist sehr sinnvoll und meist auch notwendig.
Dennoch wird sich die Erwartungshaltung der Mandantschaft durch die Möglichkeit von ChatGPT etc, selbst erste Entwürfe zu erstellen oder vorhandene Dokumente zu analysieren, gegenüber Kanzleien im Vergleich zu heute essenziell verändern.
Wer wird noch für Vertragsentwürfe oder Sachverhaltsanalysen die bisherigen Volumina für „menschliche Handarbeit“ zahlen, wenn KI -aus Sicht der Mandantschaft- zumindest bei nicht allzu komplexen Szenarien recht akzeptable Ergebnisse liefert?
Auch bei anspruchsvollen rechtlichen Projekten wie in den Bereichen Transaktionen oder Restrukturierungen werden die neuen elektronischen Möglichkeiten die Anzahl der involvierten Anwälte im Vergleich zu heutigen Teams deutlich reduzieren (Verringerungen um 50% und mehr sind nicht unrealistisch), da viele Teilaufgaben innerhalb solcher Mandate (zB. Zusammenfassung von Vertragssammlungen oder das Reporting zu Risikoabschätzungen) ohne anwaltliche Hilfe durch Associates mittels KI automatisch erstellt und bearbeitet werden können.
Da KI die bisherigen Geschäftsmodelle von Kanzleien aller Größenordnungen in der Zukunft somit einschneidend verändern werden, sollte man jetzt damit beginnen, die Grundlagen für ein verändertes Arbeitsumfeld unter Einbeziehung von KI-Lösungen zu schaffen.
Zwar befinden wir uns erst am Anfang eines produktiven Einsatzes von KI im Rechtsmarkt, aber zur effektiven Nutzung von Software (mit oder ohne KI) innerhalb einer Kanzlei oder Rechtsabteilung bedarf es mehr als die bloße Lizensierung von entsprechenden Applikationen.
Da Anwälte und Anwältinnen meist Checklisten „lieben“ ;-), nachfolgend die aus meiner Sicht notwendigen Massnahmen in Kurzform:
- Prozessanaylse und – Optimierung
- Pimp up your Kanzleisoftware, insbesondere Migration zu cloudbasierten Lösungen
- Implementierung von automatisierten Workflows und Dokumentenerstellung
- Aufbau eines internes Knowledge-Managements, welches jenseits einer bloßen Verwaltung von Textvorlagen auch die Analyse möglichst vieler Kennzahlen der rechtsanwaltichen Berufsausübung umfasst
- Permanente Marktbeobachtung bzgl. passender KI-Lösungen und agile permanente Evaluierung und Testung geeignet erscheinender Services und Applikationen
(Mehr Detailinfos zu einigen der genannten Punkten finden Sie in anderen Beiträgen meines Blogs)
Dieser grobe Massnahmenkatalog für eine digitale Ausrichtung der Kanzleiorganisation und IT-Infrastruktur für die produktive Nutzung von KI Lösungen soll auch verdeutlichen, dass zur sinnvollen Anwendung von KI Software Einiges an Vorarbeit in (nicht nur) technischer Hinsicht geleistet werden muss.
Es kommen spannende Zeiten auf alle Beteiligte im Rechtsmarkt zu und die Karten werden in vielen Bereichen der anwaltlichen Beratung neu gemischt werden (Goliaths aufgepasst: Die Davids werden nun zu einer echten dauerhaften Herausforderung werden, da der Headcount nicht mehr so entscheidend sein wird).
Ich persönlich freue mich sehr auf diese Veränderungen und bin gespannt, ob und wie die bisherigen Markteilnehmer auf die Herausforderungen reagieren werden.
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